"Selbst-Management ist nicht nur 'sich besser organisieren'" – Interview mit Coach and Autor Dr. Bernreiter

Dr. Christian Bernreiter, studierte Psychologie, Philosophie und Theologie. Nach jahrelanger Forschungstätigkeit im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und beruflicher Supervision arbeitet er als Leadership-Berater, Coach und Supervisor. Aktuell ist er Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Beratung, Köln (DGfB), Buchautor und Geschäftsführer/Inhaber der Firma eigen.wert Unternehmensberatung & Coaching, München www.eigen-wert.com.
Veröffentlicht am 01.08.2022
Dr. Christian Bernreiter

Sie arbeiten seit vielen Jahren als systemischer Coach und Supervisor mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen und erhalten dabei wertvolle Einblicke in unterschiedliche Arbeitswelten. Das Thema Selbst-Management im Arbeitsalltag spielt dabei bei allen Arbeitnehmern eine Rolle. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Kunden gemacht – wo liegen zumeist die Probleme und welche Tipps würden Sie weitergeben, um sich selbst besser zu organisieren? 

Wichtig ist – Selbst-Management ist nicht nur „sich besser organisieren“. Es ist weitaus mehr und bedeutungsvoller. Selbst-Management besteht aus „Selbst“ und „Management“. Die Kernfrage lautet: Wer bin ich und welche Anlagen habe ich in mir grundgelegt? Was sind meine Stärken und Schwächen und wie kann ich diese im Job optimal einsetzen. Es geht also um das Management des „eigenen Selbst“. Und übrigens gilt das auch und gerade für Führungskräfte. 

Menschen, die ihre Potenziale kennen, tun sich im Leben und in der Arbeit leichter. Führungskräfte, die wissen, welche Fähigkeiten und Anlagen in Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schlummern, werden erfolgreich sein. Führung wird dann erfolgreich sein, wenn Führung eine Kultur gestalten kann, in der der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin diese Potenziale für das Unternehmen freigibt. Und das freiwillig! Das ist nicht immer selbstverständlich. Denn, wenn das nicht gelingt, dann sitzen Führung und Unternehmen auf „einem Schatz“ (Human Ressource) der verborgen und unentdeckt bleibt. Eine vertane Chance und fatal für jedes Unternehmen. 

Das gilt aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: es entsteht eine wohltuende Selbst-Kultur, wenn Kolleginnen und Kollegen selbst ihre eigenen Anlagen kennen, gut (ein)schätzen können und praktisch einzusetzen wissen. Die Liebe zu den eigenen Stärken und die Achtung vor dem, was noch entwicklungsfähig erscheint, lässt Menschen erfolgreich sein und Arbeit wird gelingen. 

Für Führungskräfte ist das ein enormer Vorteil die eigenen Anlagen und die Anlagen der MitarbeiterInnen zu kennen. Aber: vor dem Erfolg, steht eben die Hinwendung an die Selbst-Arbeit. Selbst-Management definiert sich zuerst als Selbst-Arbeit. Als Arbeit an mir selbst. Die Folge daraus ist Er-folg. Man könnte sagen: Erfolg folgt nach, zuerst kommt die Hinwendung an die Selbst-Arbeit. 

Mein Tipp: Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Erkennen und schätzen Sie bei sich selbst Ihre Anlagen und setzen Sie diese zur eigenen Freude, zur Gestaltung Ihrer privaten Welt und zum Wohle des Unternehmens ein. Erst dann wird aus einer Beschäftigung, gelingende Arbeit. 

Die Arbeitswelt hat sich mittlerweile grundlegend geändert – der Arbeitsalltag spielt sich für viele Beschäftigte zwischen Homeoffice und der Arbeit im Büro ab. Bringt dieser Wechsel des Arbeitsortes neue fundamentale Veränderungen mit sich? 

Das ist ein bedeutendes und sehr aktuelles Thema. Durch Maßnahmen der Corona Pandemie sind viele Jobs im Homeoffice angekommen. Was vorher in manchen Organisationen undenkbar gewesen war – hat sich über Nacht zur Normalität entwickelt. Die Lösung liegt aber keinesfalls im Entweder-Oder! Eine erfolgreiche Zukunftsgestaltung einer post-pandemischen Unternehmenskultur, kann nur ein „Sowohl-Als auch“, als Lösung mit persönlicher Note für jedes einzelne Unternehmen darstellen.

Vernünftige Manager werden nicht gänzlich auf Homeoffice umsteigen. Aber bestimmt Herkömmliches infrage stellen und Abstand von alten Strukturen nehmen. Das Gute im Schlechten liegt in der Auswertung dieser Pandemie. Am besten zusammen mit dem ganzen Team. Wer als Unternehmen in dieser Krise das Chancenhafte ergreift und daraus lernt, wird gewinnen. Wirksame Manager werden diese Fragen künftig nicht mehr alleine im elfenbeinernen Turm beantworten, sondern zusammen mit den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Teamentwicklung ist hier ein Schlüsselwort, um zukunftsfähige Strukturen im Unternehmen neu zu erfinden. 

Für Führung ist klar: Viele Managementaufgaben können durchaus von zu Hause aus getätigt werden, allerdings menschlich motivierende Führung nicht. Hier braucht es mehr als eine Ansage, hier braucht es Präsenz. Kluge Administration und zahlreiche Verwaltungsaufgaben passen ebenfalls gut ins Homeoffice. Das Generieren von „wirklich Neuem“ und das Entkoppeln von Kreativität ist eine Angelegenheit von vernetztem neuronalem Austausch von Menschen. Hier braucht es Menschen die gemeinsam etwas weiterentwickeln. Wenn Miteinander zum Füreinander werden soll, dann braucht es partiell reale Zusammenarbeit von Menschen. Auch hier ist die Teamentwicklung ein wertvoller Entwicklungsraum. Allerdings gib es Bereiche, da kann auch das Homeoffice zum wertvollen Thinktank werden. Ich denke gerade an introvertierte Schöpfernaturen, deren Genialität im Austausch mit sich selbst liegt. Große Denker haben es uns vorgemacht: „Wirklich Großes entsteht so gut wie nie in Teamarbeit!“

Die Koordination von Arbeitsaufgaben ist ebenfalls ein Bereich, der im Homeoffice gut bewältigt werden kann. Dagegen Zusammenarbeit, von Hand zu Hand bzw. von Mensch zu Mensch, ist eine Präsenzangelegenheit mit großer Strahlkraft. Ein erstklassiges Fußballspiel kann nicht auf noch so guten Endgeräten virtuell stattfinden. Das klappt nicht! 22 Bildschirme machen noch keine Wirkung und entfalten nicht diese Kraft des WIR, die es braucht, um einen Sog zu erzeugen. Die Chance nach der Krise muss spürbar erfühlt werden können. Erst dann wirkt sie. Der Abstand vom Standard alter Strukturen riecht förmlich nach Erfolg und Aufbruch. Team-Bildung ist das neue Zauberwort. Da wird Kultur förmlich sichtbar und spürbar. Das WIR hat in der Teamentwicklung eine große Bedeutung. Viele Themen und Alltagsprobleme kann das Team mit den vorhandenen Ressourcen gut allein regeln. 

Die neue Arbeitssituation stellt auch die Teams vor neue Herausforderungen. Während man sich früher im Büro täglich sehen konnte, findet die Interaktion heute zu einem großen Teil nur noch über elektronische Medien statt. Wie können sich Teams in digitalen Zeiten besser organisieren und wo liegen die Chancen, aber auch die Risiken?

Wie zuvor erwähnt, brauchen Menschen, die zusammenarbeiten, eine Kontaktmöglichkeit. Einen Ort der Begegnung. Und das nicht nur am Bildschirm. Teamentwicklung einmal im Jahr sollte für jedes Team möglich sein. Besprechungen mit dem gesamten Team sollten eingeplant und gemeinsam genutzt werden. Führungskräfte können zusammen mit den Teammitgliedern diese Besprechungen vorbereiten und erlebensorientiert durchführen. Besprechungen sollten Begegnungsräume sein. Lösungsräume für aktuelle Themen und Orte, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich kennen und schätzen lernen. 

Jeder im Team ist anders. Und diese Andersartigkeit gilt es zu fördern und achten zu lernen. Typengerecht arbeiten im Team ist der Schlüssel für Erfolg im Beruf. Dazu habe ich mit der Bestseller-Autorin Stefanie Stahl ein neues Buch geschrieben. „So bin ich eben. Im Job“ (Kailash-Verlag) ist ein Arbeitsbuch für Führung aber auch für alle engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die erfolgreich sein wollen. Es gilt die Unterschiede der einzelnen Menschen nutzbar zu machen. Ein Persönlichkeitstest im Buch lädt dazu ein, sich selbst besser kennen zu lernen. 

Wichtig ist auch die Weiterentwicklung von Besprechungen im virtuellen Raum. Man kann nicht einfach nur auf „online“ wechseln. Der virtuelle Raum will gestaltet werden. Verschiedene Instrumente und Tools sind einzusetzen und auszuprobieren. Da gibt es aktuell viele wertvolle Methoden, um die digitale Form hervorragend zu nutzen. Alles ist erlaubt, was Menschen näherbringt, obwohl diese bei sich zu Hause am PC sitzen. 

Vielen Dank für das Gespräch!