DORA in der Assekuranz: Schlanke Umsetzung, klare Prioritäten

Viele IDV-Tools erfüllen DORA (noch) nicht – droht die nächste Prüfungspanne?
Veröffentlicht am 08.07.2025
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Dieser Artikel wurde als Gastbeitrag von Dea Dubovci und Mischa Pupashenko, Cominia Aktuarielle Services, erstellt. Das Whitepaper können Sie hier herunterladen.

Mit dem Digital Operational Resilience Act (DORA) der EU ist seit dem 17. Januar 2025 eine neue regulatorische Ära für Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister angebrochen. Ziel ist ein einheitlicher, europaweiter Rahmen für die digitale operationale Resilienz, also die Fähigkeit, trotz Cyberangriffen, Systemausfällen oder Drittparteiausfällen funktionsfähig zu bleiben.

Für deutsche Versicherer bedeutet DORA nicht nur eine Verschärfung bestehender IT-Anforderungen, sondern auch das faktische Auslaufen der VAIT (Versicherungsaufsichtliche Anforderungen an die IT), die durch die BaFin mit Blick auf Solvency II etabliert wurden. Mit DORA rückt nun ein unmittelbar geltendes EU-Recht in den Mittelpunkt, das nicht nur IT-Abteilungen, sondern das gesamte Unternehmen betrifft, und damit insb. das Risikomanagement sowie das Aktuariat. Entscheidend für eine nachhaltige DORA-Umsetzung ist ein holistischer Risikomanagement-Ansatz, der alle relevanten Bereiche einbindet und das verbreitete Silo-Denken aufbricht.

Der Übergang zur europäischen Regulierung erfolgt nicht automatisch, er verlangt aktives Handeln. Auch für Unternehmen, die noch nicht weit in der Umsetzung sind, bietet sich jetzt die Chance: zügig nachziehen und regulatorisch wie operativ Sicherheit gewinnen.

Von der VAIT zu DORA: Was ist neu?

DORA baut auf bestehenden Standards wie VAIT, MaRisk (Mindestanforderungen an das Risikomanagement) und den EIOPA IKT-Guidelines (Informations- und Kommunikationstechnologien) 
auf, geht aber weit darüber hinaus. Die Anforderungen an

  • das IKT-Risikomanagement,
  • die Behandlung, Klassifizierung und Berichterstattung von IKT-Vorfällen,
  • das Management von IKT-Drittparteirisiken,
  • sowie das Testen der digitalen operationalen Resilienz

werden nicht nur präzisiert, sondern auch erstmals verbindlich und harmonisiert auf EU-Ebene geregelt. 

Entscheidend: DORA zielt nicht nur auf klassische IT-Systeme, sondern auf alle IKT-Dienste, inklusive Schatten-IT und dezentraler Eigenentwicklungen, insb. auch IDV-Anwendungen (Individuelle Datenverarbeitung), wie sie etwa im Risikomanagement und Aktuariat häufig vorkommen.

Gap-Analyse als pragmatischer Einstieg

Viele Versicherungsunternehmen verfügen bereits über dokumentierte IT-Prozesse im Rahmen von Solvency II und VAIT, auch im Kontext IDV. Dennoch empfiehlt es sich zum Einstieg in die DORA-Umsetzung, eine gezielte Gap-Analyse im Abgleich mit den zentralen DORA-Anforderungen durchzuführen, um bestehende Schwachstellen frühzeitig zu erkennen und gezielt priorisierte Maßnahmen abzuleiten. Diese sollte insbesondere folgende Aspekte erfassen:

  • Methodik zur Identifikation kritisch-wichtiger Prozesse und IKT-Dienste
  • Aufbau eines vom Vorstand verabschiedeten IKT-Risikomanagements inkl. des IKT-Risikomanagementrahmens
  • Dokumentation von Auslagerungen und Drittparteien insb. das Informationsregister
  • Business-Continuity-Management-Komponenten wie Notfallplanung und Wiederanlauftests
  • Meldeprozesse für schwerwiegende IKT-Vorfälle (intern und extern)

Für Risikomanagement, Aktuariate und IT gilt jetzt: frühzeitig Lücken identifizieren, Governance nachholen, Risiken einschätzen und Dokumentation aufbauen. Die Zeit für strategische Positionierung ist jetzt.

IDV im Einsatz: Weitergehende Pflichten, schärfere Kontrollen

Besonders hoher Handlungsdruck besteht im Risikomanagement und den Aktuariaten: Die dort genutzten IDV-Anwendungen, etwa Excel-Tools, Access- Datenbanken oder selbst entwickelte Skripte, sind oft kritisch für die Rückstellungsberechnung, Solvency II, Tarifierung und die regulatorische Finanzberichterstattung. Obwohl Risikomanagement-Strukturen grundsätzlich etabliert sind, zeigt die Praxis immer wieder, dass viele IDV-Anwendungen noch nicht in ein formalisiertes Risikomanagement eingebunden sind. Hier bietet sich die Chance, bestehende Lücken bei Dokumentation, Testing und Revisionssicherheit gezielt zu schließen und so die Resilienz nachhaltig zu stärken.

Der RTS Risk Management (Art. 16 (9)) unter DORA hebt die bisherige Sonderbehandlung IDV im Rahmen der VAIT auf und stellt selbst entwickelte IDV-Anwendungen und zugekaufte Standardsoftware regulatorisch gleich.

Damit unterliegen alle außerhalb der IT-Funktion entstandenen (IDV)-Anwendungen, auch solche aus den Fachbereichen, denselben strengen Prüf- und Dokumentationspflichten wie zentrale IT-Systeme.

DORA bringt damit erstmals verbindliche, umfassende Anforderungen für den sicheren Einsatz von IDV, die weit über VAIT hinausgehen: Sämtliche IDV-Lösungen sind lückenlos zu inventarisieren, zu dokumentieren und einem vollständigen Lebenszyklusmanagement zu unterwerfen. Dazu gehören verpflichtende Quellcode-Prüfungen, regelmäßiges Schwachstellenmanagement, konsequente Maßnahmenverfolgung sowie der grundsätzliche Verzicht auf Produktionsdaten in Test- und Entwicklungsumgebungen. Auch Dritt- und Open-Source-Komponenten müssen vor dem Einsatz geprüft und dokumentiert werden.

Bereits im Juni 2024 betonte die BaFin in ihrer Aufsichtsmitteilung „Hinweise zur Umsetzung von DORA im IKT-Risikomanagement und IKT-Drittparteien-Risikomanagement“ das Entfallen der bisherigen „IDV-Sonderbehandlung“. Die Prüfung wird für alle eigenentwickelten Lösungen deutlich umfassender und strikter als bislang. Alle Fachbereichsanwendungen unterliegen denselben Prüf- und Dokumentationspflichten wie zentrale IT-Systeme, was die Anforderungen und Prüfintensität für eigenentwickelte Lösungen spürbar erhöht.

IDV-Tools rücken durch DORA in den Mittelpunkt: Sie werden regulatorisch genauso behandelt wie zentrale IT-Anwendungen und müssen auch wie jedes andere IKT-System bewertet, gesichert und kontrolliert werden. Wer jetzt kein stringentes IDV-Governance-System etabliert, riskiert nicht nur Sanktionen, sondern auch erhebliche operative Risiken

Schlanke Umsetzung: Jetzt zählt Mehrwert statt Formalismus

Mit der Einführung von DORA rückt die tatsächliche Wirksamkeit der Maßnahmen in den Mittelpunkt. Es gilt, die Ressourcen gezielt auf die Absicherung wesentlicher Risiken zu lenken, statt sich in umfangreichen Dokumentationen zu verlieren. Entscheidend ist ein risikoorientierter Ansatz, der pragmatisch ansetzt:

Kritikalität als Steuerungsgröße: Statt für jede unkritische Anwendung einen vollständigen Dokumentationsprozess zu etablieren, sollten Unternehmen ihre Aufmerksamkeit auf die Anwendungen richten, die für die Geschäftskontinuität, die regulatorische Berichterstattung oder zentrale Kundenprozesse von hoher Bedeutung sind. So erhält beispielsweise ein aktuarielles Kernsystem zur Rückstellungsberechnung eine vollumfängliche Risikoanalyse, inklusive Quellcode-Prüfung und regelmäßigen Reviews, während ein rein internes Analyse-Tool mit einem pragmatischen Standardprozess ausreichend erfasst werden kann.

Schrittweise Standardisierung: Die Einführung einheitlicher und schlanker Vorlagen für Risikoanalysen, Auslagerungsverträge und IDV-Dokumentationen unterstützt eine effiziente und konsistente Bearbeitung über alle Bereiche hinweg. Ein klar strukturierter Fragebogen zur IDV-Risikoanalyse, der direkt im Fachbereich genutzt werden kann, stellt hier ein wirksames Instrument dar, um den Aufwand zu reduzieren und die Compliance sicherzustellen.

Synergien nutzen: Viele Anforderungen aus DORA lassen sich nahtlos in bestehende Managementsysteme wie das Risikomanagement (gemäß Solvency II, MaRisk und ISO 31000), das Information Security Management (ISO 27001) oder das Business Continuity Management (ISO 22301) integrieren. Bestehende Notfalltests können beispielsweise gezielt um DORA-relevante IKT-Szenarien erweitert werden, ohne neue Parallelstrukturen aufzubauen. Entscheidend für eine nachhaltige DORA-Umsetzung ist ein holistischer Risikomanagement-Ansatz, der sämtliche Unternehmensbereiche einbindet und das verbreitete Silo-Denken konsequent aufbricht.

Praktikable Ausnahmeregelungen: Auch unter DORA ist der Einsatz von Produktionsdaten in Testumgebungen möglich – allerdings nur nach einem formalisierten, nachvollziehbaren Genehmigungsprozess. Ein digitaler Freigabe- Workflow, beispielsweise über ein Ticketsystem, kann hier eine einfache und wirksame Lösung bieten.

Vom Regeldruck zur Chance: DORA nutzen und Wettbewerbsvorteile schaffen

DORA ist längst nicht mehr bloß ein regulatorisches Zukunftsthema – es ist Gegenwart. Es bietet auch die Chance, operative Schwächen sichtbar zu machen, Prozesse zu standardisieren und das Risikobewusstsein unternehmensweit zu stärken.

Eine schlanke, risikoorientierte Umsetzung von DORA fokussiert sich auf die tatsächliche Risikominderung und nachhaltige Resilienzsteigerung. Entscheidend ist, dass die Maßnahmen im Unternehmensalltag Wirkung entfalten und nicht in Formalismus erstarren.

Sie möchten Ihr Unternehmen fit für DORA machen? Sprechen Sie uns an!

Dea Dubovci

Senior Consultant
Geschäftsfeld Risikomanagement
dea.dubovci@cominia.de
+49 152 09502056

 

Dr. Mischa Pupashenko

Principal & Geschäftsfeldverantwortlicher Risikomanagement
mischa.pupashenko@cominia.de
+49 152 08437644

 

 

Literaturhinweise