„Es ist an der Zeit, alles grundlegend zu hinterfragen“ – wie sich unser Arbeitsleben verändern wird

Ein Interview mit Volker Rosenbach, Lead Partner für das Workforce Transformation Offering bei Deloitte.
Veröffentlicht am 01.03.2021

Ein Interview mit Volker Rosenbach, Lead Partner für das Workforce Transformation Offering bei Deloitte.

Die Arbeitswelt hat sich insbesondere in den letzten Monaten drastisch verändert. Ist das ein reines Corona-Phänomen?

Aus Personalsicht haben wir uns vor mehreren Jahren im Zuge der Entwicklung „Industrie 4.0“ und einer stärkeren Digitalisierung und Technologisierung mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt. Wir haben festgestellt, dass die Implementierung der großen IT-Vorhaben seit Ende der 90er Jahre nicht zu der gewünschten und erhofften Produktivitätssteigerung geführt hat. Anstatt dem traditionellen Ansatz zu folgen, Technologie auf bestehende Prozesse und Strukturen aufzusetzen, glauben wir, dass wir – um größere Ergebnisse zu erzielen – die Arbeit selbst überdenken und neu gestalten müssen.

Wie hat sich Corona auf diese bestehende Entwicklung ausgewirkt?

Corona hat zumindest in Deutschland wie eine kleine Zeitmaschine gewirkt. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie zum Beispiel den USA, haben sich Arbeitgeber hierzulande bisher schwer getan, neue (virtuelle) Arbeitsmodelle nicht nur theoretisch anzudenken, sondern auch tatsächlich umzusetzen – dies sicher auch getrieben durch starke Sozialpartner, wie Betriebsräte und Gewerkschaften. Corona hat zu einer neuen Offenheit alternativen Arbeitsformen gegenüber geführt und zu einer Veränderungsbereitschaft beigetragen, Dinge auch kurzfristig umzusetzen. Unter normalen Umständen hätten die Entwicklungen der letzten Monate eine viel längere Zeit der internen Abstimmung und Verhandlung erfordert. 

Hätte sich die Arbeit auch ohne Corona in dieser Form weiterentwickelt?

Die Arbeit hätte sich früher oder später ohnehin verändert – insbesondere in Richtung einer stärkeren Flexibilisierung. Mit COVID-19 sahen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber plötzlich mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihre Arbeit jetzt selbst zu organisieren – sowohl in Bezug auf den Ort als auch auf die Zeit, in der sie sie verrichten, dabei die Anforderung, das Gleichgewicht zwischen privaten und beruflichen Anforderungen und Umständen zu halten. 
Aber auch im Hinblick auf die Belegschaft, die Rollen hinterfragt und künftig vielleicht nicht mehr nur aus unbefristeten Vollzeitkräften bestehen, sondern verstärkt auch projektbezogene Freelancer einsetzen wird. Die Arbeitswelt wird aber auch offener gegenüber neuen Technologien – wo früher Stift und Zettel lagen, kommt jetzt das digitale Post-its zum Einsatz. Corona hat diese Entwicklung lediglich beschleunigt.

Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Hat das klassische Büro ausgedient?

Es wird vermutlich auf ein Hybridmodell hinauslaufen. Die Arbeitswoche wird sich aus Präsenztagen im Büro und Homeofficetagen zusammensetzen. Teammeetings werden künftig vermehrt hybrid stattfinden.
Aber auch die Räumlichkeiten ändern sich – das Büro wird ein Raum des physischen Austausches. Orte der Kommunikation und Austauschflächen nehmen zukünftig größeren Raum ein. Natürlich wird es immer noch Einzelbüros und Räume geben, in die man sich zurückziehen kann, wenn es nötig ist; die physischen Bürozeiten werden aber zunehmend für den persönlichen Kontakt und den Austausch von Ideen genutzt werden. Die Bedeutung des Zusammenkommens und des eher informellen Austauschs in Kaffeeecken wird zunehmen.

Das Büro ist auch ein sozialer Raum des Austausches und der Beziehung. Geht soziale Nähe auch remote?

Digitales Arbeiten ersetzt aus meiner Sicht nicht das persönliche Miteinander. Ein Büro als physischer Arbeitsort gibt neue Impulse und verleiht der Arbeit Struktur. Allein das äußere Erscheinungsbild – der Eingangsbereich, die Farben, Blumen, etc. – sind kulturstiftend und bilden den Rahmen für ein gemeinsames Verständnis. 
Besonders im produzierenden Gewerbe wird auch noch einmal sehr deutlich, dass ein reines Homeoffice für das klassische deutsche Gewerbe nicht sinnvoll ist. Während der Produktionsmitarbeiter jeden Morgen – eventuell sogar unter erschwerten Corona-Maßnahmen – zu seiner Schicht antritt, ist das Verwaltungsgebäude nebenan leer. Dies führt unweigerlich zu einer Demotivation und kann schlussendlich zu einem Klassenkampf enden.
 

Ist die Zukunft der Arbeit ein Mehrwert für den Arbeitnehmer oder bedeutet es lediglich noch mehr Stress?

Es braucht drei Dinge, damit die Arbeit als idealtypisches Modell die Bedürfnisse befriedigt und einen Mehrwert bieten kann. Erstens Unternehmen, die ihren Mitarbeitern ehrliche Flexibilität bei der räumlichen und zeitlichen Gestaltung ihrer Arbeit anbieten, zweitens Sozialpartner, die diese Flexibilität mittragen und drittens Arbeitnehmer, die den Mut und die Selbstsicherheit haben, diese innerhalb der groben Richtlinien, wie Kernarbeitszeiten, ganz individuell zu definieren. 

Wie verändert sich künftig der Hierarchieprozess im Unternehmen? 

Die größte Herausforderung für Führungskräfte wird es sein, die Mitarbeiter zu motivieren und sie auf die Reise mitzunehmen. Einerseits müssen sie das Team als Ganzes betrachten, andererseits aber auch jedes einzelne Teammitglied stärker in den Blick nehmen und das Verständnis für die jeweiligen individuellen Herausforderungen auch über die Arbeitsgrenzen hinaus schärfen. 

Was sind die größten Herausforderungen, um der Zukunft der Arbeit zu begegnen? 

Unternehmen tun sich leicht, Strategieprozesse anzustoßen und die Zukunft zu definieren. Sie tun sich aber schwer daran, alte und bisher bewährte Dinge kritisch zu hinterfragen und zu verändern. Die Zeit könnte gerade aber nicht besser dafür sein. Es braucht den Mut, jetzt innezuhalten, ganz bewusst und mit den „Lessons learned“ aus der Coronapandemie neu zu definieren, um einen langfristigen Strategieprozess anzutreten. Die Unternehmen, die das schaffen, werden erfolgreich sein.