"Wir entscheiden Tag für Tag, welche Risiken wir eingehen" - Interview mit Olga Pupashenko

Olga Pupashenko hat Finanzmathematik an der Technischen Universität in Kaiserslautern studiert. Sie arbeitet als Head of Non-Financial Risk Management bei der ERGO-Gruppe.
Veröffentlicht am 17.05.2023

Was ist Ihre Aufgabe als Head of Non-Financial Risk Management bei ERGO?

In meiner Funktion bin ich für das operative Risiko- und Business-Continuity-Management der ERGO verantwortlich. Dazu gehören Themen wie das interne Kontrollsystem, die Quantifizierung des Kapitalbedarfs für operationelle Risiken für die ERGO-Einheiten mit einem internen Solvency-II-Modell, die Erfassung und Analyse von operationellen Verlusten, die Governance von Projektrisiken, das Risikomanagement für Dritte sowie das Business Continuity Management.

Gemeinsam mit meinen Kollegen, die für die Informationssicherheit und das IT-Risikomanagement zuständig sind, bauen wir die Grundlage für die operationelle Widerstandsfähigkeit von ERGO auf und fördern sie. In unserer Rolle als 2nd Line of Defense entwickeln wir die entsprechenden methodischen Rahmenwerke, schulen und unterstützen die Organisation bei der Umsetzung dieser Rahmenwerke und verschaffen unserem Management einen klaren Überblick über unsere nicht-finanziellen Risiken.

Warum ist Risikomanagement für Unternehmen in der Versicherungsbranche so wichtig?

In der Versicherungsbranche ist das Risiko eigentlich unser Geschäftsmodell. Unsere Produktentwickler, Underwriter und Vertriebsabteilungen entscheiden Tag für Tag, welche Risiken wir eingehen und welche nicht. Unsere Investmentabteilungen entscheiden, wie wir das Geld unserer Kunden anlegen und damit, welchem Risiko wir es aussetzen. Und ich könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Risikomanagement ist also im Grunde ein wichtiger Teil der täglichen Arbeit von so ziemlich jedem von uns im Versicherungsgeschäft. Deshalb ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, dass wir verstehen, was es ist und wie wir Risikomanagement betreiben.

Wir in der Abteilung Risikomanagement legen den allgemeinen Rahmen für das Risikomanagement fest und schulen und unterstützen unsere Geschäftseinheiten bei dessen Umsetzung. Außerdem sorgen wir dafür, dass wir als Unternehmen keine Risiken eingehen, die unsere Tragfähigkeit übersteigen und uns und unsere Kunden gefährden könnten. Darüber hinaus stellen wir sicher, dass die gesamte Risikosituation im Unternehmen transparent ist, und unterstützen unsere Geschäftseinheiten bei der Entwicklung angemessener Steuerungs- und Minderungsmechanismen, wo dies erforderlich ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein solides Risikomanagement meiner Meinung nach eine der wichtigsten Säulen für nachhaltiges Wachstum in der Versicherungsbranche ist.

Welche neuen Herausforderungen und Trends sehen Sie derzeit im Risikomanagement?

Die Welt, in der wir leben, verändert sich ständig. Ereignisse, die wir nicht für möglich gehalten haben, treten immer häufiger auf - COVID-19-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Lebensmittel-, Energie- und Wirtschaftskrisen, Ausfälle durch erfolgreiche Cyberangriffe. All diese Ereignisse bergen Risiken für uns alle - als Privatpersonen und als Unternehmen - und machen die Notwendigkeit eines soliden Risikomanagements und der finanziellen und operativen Widerstandsfähigkeit des Unternehmens sehr wichtig. Für uns als Versicherungsunternehmen sind diese Entwicklungen nicht nur Risiken, mit denen wir umgehen müssen, sondern auch Chancen für die Weiterentwicklung neuer Geschäftsinitiativen und neuer Lösungen für unsere Kunden. Sowohl bei der Steuerung der Risiken, die sich aus diesen und weiteren Bedrohungen ergeben, als auch bei der Entwicklung neuer Chancen spielt das Risikomanagement eine wichtige Rolle.

Vor diesem Hintergrund betrachte ich persönlich die Stärkung der operativen Resilienz und damit des operativen Risikomanagements als eines der Schwerpunktthemen und Herausforderungen im Risikomanagement. Hand in Hand damit geht meiner Meinung nach die Stärkung der Risikokultur in der gesamten Organisation. Nehmen wir zum Beispiel die Cybersicherheit: Menschliche Fehler sind eine der größten Bedrohungen. Das Bewusstsein zu schärfen und unsere Mitarbeiter dabei zu unterstützen, zu verstehen, welche Rolle sie bei der Vorbeugung und dem Management unserer Risiken spielen, ist daher meiner Meinung nach eine der Prioritäten auf unserem Tisch.

Darüber hinaus sind IFRS17 und ESG derzeit häufige Themen, die auch das Risikomanagement betreffen. Wenn ich mir die regulatorische Seite anschaue, sehe ich eine der Herausforderungen in der Harmonisierung der verschiedenen zunehmenden regulatorischen Anforderungen und in der notwendigen Unterstützung für unsere Organisation, um diese angemessen umzusetzen.

Welche Rolle spielen der Klimawandel und Fragen der Nachhaltigkeit bei aktuellen Risikomanagemententscheidungen?

Auch wenn der Begriff ESG in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit gewonnen hat, waren ESG-Risiken schon länger bekannt und in unsere Geschäfts- und Risikomanagemententscheidungen eingebunden. Für uns bei ERGO spielen ESG-Aspekte eine wichtige Rolle - angefangen bei der Entwicklung unserer Produkte, unseren Investitionen und vielen anderen Aspekten und Entscheidungen entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette, wie zum Beispiel der Frage, ob ich auf einer Geschäftsreise den Zug oder das Flugzeug nehme. Auch im Risikomanagement sind diese Punkte relevant und werden in unsere Entscheidungsprozesse integriert.

Ein Blick in die nahe Zukunft: Was werden die führenden Themen im Risikomanagement in den nächsten fünf Jahren sein?

Um nur einige unserer Themen für die kommenden Jahre zu nennen: Stärkung unserer Cyber- und operativen Resilienz, weitere Einbeziehung von ESG-Aspekten in unsere täglichen Prozesse, stärkere Steuerung von Liefer- und Outsourcing-Ketten, Weiterentwicklung unserer Risikomodelle und natürlich die Förderung einer gesunden Risikokultur im gesamten Unternehmen.

Warum ist das Risikomanagement für Sie persönlich ein spannendes Feld? Was lieben Sie daran?

Der Einstieg in das Risikomanagement war für mich eine augenöffnende Erfahrung - mir wurde klar, dass es da draußen so viel mehr gibt als nur meinen eigenen Tellerrand. Als neugieriger Mensch war und bin ich immer noch sehr gespannt darauf, jeden Tag etwas Neues zu lernen und meinen Horizont zu erweitern. Meine tägliche Arbeit ermöglicht es mir auch, ein besseres Verständnis für das "große Ganze" zu entwickeln - und das ist etwas, das ich wirklich genieße. Meine täglichen Interaktionen und Einblicke in verschiedene Themen in unserer gesamten Organisation ermöglichen es mir, Schritt für Schritt besser zu verstehen, wo wir als Unternehmen stehen, wohin wir uns bewegen und was wir auf unserem Weg brauchen. Für mich ist das vergleichbar mit dem Bau eines Puzzles oder eines Lego, was mir übrigens auch sehr viel Spaß macht.

Ein weiterer Grund, warum ich das Risikomanagement liebe, ist das Gefühl, dass unsere täglichen Bemühungen einen Sinn haben und eine Wirkung für unsere Organisation und unsere Kunden haben. Mit unseren Bemühungen schützen wir ERGO vor übermäßigen Risiken, die uns und unseren Kunden schaden könnten. Nehmen wir das Business Continuity Management als Beispiel: Unser Team ist dafür da, die Methodik zu entwickeln und unseren Geschäftseinheiten dabei zu helfen, ihre zeitkritischen Prozesse zu identifizieren, die Auswirkungen auf das Geschäft zu verstehen, wenn diese Prozesse nicht wie geplant durchgeführt werden können, und sogenannten Business Recovery Plans zu erstellen, um sie durch einen Notfall oder eine Krise zu führen, wenn diese eintreten. Dazu gehören auch vorbeugende Maßnahmen, die unserer Organisation helfen, die Auswirkungen eines Notfalls oder einer Krise zu minimieren.

Und natürlich machen wir all diese Dinge nicht allein in einem "Labor" - unsere Arbeit ist geprägt von der täglichen Interaktion mit Menschen in verschiedenen Rollen und Positionen in unserem Unternehmen. Mit ihnen zu sprechen, ihre Sichtweise zu verstehen, ihnen zu helfen, unsere zu verstehen und sie in die Lage zu versetzen, Risikomanager für ihre eigenen Risiken zu sein, ist für mich einer der wichtigsten Teile meiner Arbeit. Ein Teil, der mir sehr viel Spaß macht!

Wenn Sie also ein neugieriger Mensch sind und eine neue Herausforderung am Puls der Zeit suchen, dann ist das Risikomanagement bei ERGO definitiv einen Blick wert.

Weitere Einblicke von Olga Pupashenko gibt es in ihrer Episode des ERGO-Podcasts hier auf actuview: https://www.actuview.com/partner/ergo