Nachhaltigkeit in der Versicherung: grüne Produkte und die Rolle der Aktuare

Die Realität des Klimawandels hat uns längst erreicht. Laut dem World Economic Forum Global Risk Report 2021 sind vier der fünf wichtigsten Risiken weltweit inzwischen Klima- und Umweltrisiken. Allein die wirtschaftlichen Kosten für das Sturmtief Bernd und das daraus resultierende Hochwasserereignis im Jahr 2021 betrugen hierzulande mehr als 45 Milliarden US-Dollar und führten zu immensen Belastungen für die Versicherungswirtschaft in der Region. Auch Aktuar*innen können beim Thema Klimawandel beispielsweise im Rahmen der Entwicklung von „grünen Produkten“ einen entscheidenden Beitrag leisten.
Veröffentlicht am 23.05.2022

Die Versicherer spielen aufgrund ihres Geschäftsmodells eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels und bei der Minimierung seiner Auswirkungen. Durch die Integration von Klimarisiken in ihre Zeichnungsrichtlinien können sie darauf hinwirken, dass Industriesektoren „grüner“ werden und die Industrieunternehmen sich weiterentwickeln. Zusätzlich können die Versicherer durch das Instrument des Risikoausgleichs im Kollektiv und in dem Zusammenhang die Aktuar*innen mit ihrer Expertise in der Modellierung von Klimarisiken dazu beitragen, dass besonders stark vom Klimawandel betroffene Personengruppen durch die Gesellschaft unterstützt werden, indem das Risiko auf möglichst viele Schultern verteilt wird. Handlungsfelder sind beispielsweise im Bereich der Kapitalanlagen zu finden, im Rahmen der Entwicklung von „grünen Investments“ sowie im Risikomanagement und bei der Weiterentwicklung der eigenen Betriebsstätten. Hierzu gehört zum Beispiel die Reduzierung der eigenen CO2-Bilanz. Auch bei der Gestaltung von „grünen Produkten“ in der Produktentwicklung nimmt Nachhaltigkeit einen wichtigen Stellenwert ein.

Grüne Produkte: Was bedeutet das?

Im Rahmen der Produktentwicklung wird durch die Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs transparent gemacht, welche Anteil des Produktportfolios nachhaltig ist.  

Die Fragen betreffen zum Beispiel die Berücksichtigung von Klimarisiken innerhalb der aktuariellen Modelle der Versicherer. Außerdem möchte man durch gezielte Fragen sicherstellen, dass die Versicherungen nach einer Katastrophe ein hohes Leistungsniveau gewährleisten. Aus strategischen Gründen stellen sich jedoch noch verschiedene weitere Fragen, die beantwortet werden wollen. Wie können oder sollten die im Portfolio bereits existierenden Produkte weiterentwickelt werden? Was ist eigentlich ein „grünes Produkt“? Sofern noch nicht oder nicht in vollem Umfang in den Produkten enthalten, könnten Versicherungsdeckungen um Nachhaltigkeitsrisiken erweitert werden. Dabei sollten alle für die Kunden wesentlichen Klimarisiken in die Produkte integriert werden. Um bei den Kunden Anreize für nachhaltiges Handeln zu schaffen, können beispielsweise Beitragsnachlässe für energieeffiziente Gebäude vergeben werden. Auch die „Reparieren statt Ersetzen“-Philosophie im Schadenersatz oder eine Reparatur mit nachhaltigen Baumaterialien kann Teil eines nachhaltigen Produktangebots sein. Es ergeben sich im Rahmen des Klimawandels auch neue Produkte und Services. Neue nachhaltige Produkte können zum Beispiel der Versicherungsschutz von Luftwärmepumpen, von E-Auto-Ladestationen oder anderen „grünen Technologien“ sein. Services könnten Beratungsleistungen im Nachhaltigkeitsbereich beinhalten, wie die Unterstützung von Firmenkunden bei deren Nachhaltigkeitsstrategie und -berichterstattung.

Umsetzung von neuen Produktideen: Was ist zu beachten?

Bei der Entscheidung, welche der grünen Produktideen den Weg in die Umsetzung finden, sollten verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Neben der Frage nach dem Kundennutzen und dem vertrieblichen Potenzial sowie dem Abgleich mit der Unternehmensstrategie muss der mit der Einführung verbundene Aufwand berücksichtigt werden. Auch die richtige Tarifierung durch die Aktuar*innen spielt eine entscheidende Rolle. So ist beispielsweise das Potenzial der Versicherung von E-Auto-Ladestationen in einem stark wachsenden Markt bei gleichzeitig fehlenden öffentlichen Ladepunkten groß. Laut Kraftfahrt-Bundesamt gab es zum Stand Oktober 2021 bereits rund eine Million E- und Hybrid-Autos, wogegen nur etwa 50.000 öffentliche Ladepunkte existierten. Zudem hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, bis 2030 insgesamt 15 Millionen E-Autos in den Markt zu bringen. Im Schadenfall ist jedoch mit sehr hohen Schadenzahlungen zu rechnen, da aufgrund eines Kurzschlusses oder bei einer Überladung das E-Auto brennen könnte. Wenn dabei die Hochvoltbatterie in Brand gerät, ist laut Deutschem Feuerwehrverband mit enormer Brandleistung zu rechnen und der Löschvorgang dauert länger als bei herkömmlichen Fahrzeugen. Das Feuer kann sich dadurch auch auf Garagen und Wohngebäude übertragen. Möchte man diese Abdeckung von Ladestationen als Zusatzversicherung innerhalb der Wohngebäudeversicherung einbringen, ist es gegebenenfalls sinnvoll, diese nur mit zusätzlichen risikomindernden Maßnahmen abschließbar zu machen, wie Selbstbehalte oder verpflichtende Brandschutzvorkehrungen. Die Versicherung könnte auch, wie bereits im Firmenkundenbereich üblich, Risikoingenieure zum Kunden schicken, die vor Ort beim Einbau unterstützen.

Modellierung von grünen Produkten: Die aktuarielle Expertise ist gefragt

Bei der Gestaltung der grünen Produkte werden die Aktuar*innen als Fachleute für die Datenanalyse und die Modellierung der zu erwartenden Schadenzahlungen angesehen. Wie am Beispiel der E-Auto-Ladestation dargestellt, ist es nicht immer ganz einfach, den erwarteten Schaden und damit die wichtigste Komponente des Preises bei der Tarifierung eines zusätzlichen Features oder eines neuen Produktes zu bestimmen, insbesondere nicht bei der Absicherung von neuen Risiken. Wie sich die gegenläufigen Effekte insgesamt auf den zu erwartenden Schadenbedarf und damit auf den Preis der Versicherung auswirken, kann nur über die Zeit anhand von gesammelten Daten und Erfahrungen beantwortet werden. Damit die Daten von den Aktuar*innen in ihren Modellen ausgewertet werden können, ist es entscheidend, dass die Informationen in den Schadensystemen der Versicherer richtig erfasst werden, zum Beispiel hinsichtlich der Schadenursache.

Fazit

Aktuare spielen eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels Die Frage, was ein grünes Produkt ist, und was im Rahmen des Klimawandels und den damit verbundenen regulatorischen Vorgaben zu tun ist, kann nur im Zusammenspiel von Aktuar*innen mit Produktentwicklern und anderen Einheiten in den Versicherungsunternehmen beantwortet werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten bei grünen Produkten sind vielfältig und damit verbunden ist die Chance für Versicherer, einen positiven Beitrag bei der Bekämpfung des Klimawandels zu leisten. Aktuar*innen können diese Entwicklung durch ihre zentrale Rolle bei der Datenanalyse und Modellierung entscheidend mitgestalten.

Quelle: Aktuar Aktuell Nr. 57 https://aktuar.de/politik-und-presse/aktuar-aktuell/Documents/Aktuar%20a...